von Frank Kohler / Heiko Lehmann
Foto: Roger Paulet
Auersmacher. Die Wucht der Worte wirkt schon am Eingang. Mit jedem Schritt durch das Kleine Theater auf dem Weg nach oben, zur Bühne, wird das Entsetzen noch eindringlicher. Der vor Lebendigkeit berstende Text durchbohrt die Tür zum kleinen Saal, als sei sie aus Papier. Dahinter schreit sich jemand puren Schmerz von der Seele. Doch noch sind die beiden Männer auf der leeren Bühne nicht zufrieden. Judas-Darsteller Gereon Schäfer und Regisseur Josef Lang stehen einander gegenüber. Sie verschmelzen Mal um Mal Worte mit Bewegungen, Gesten und Mimik. Lang führt vor, wie er es machen würde. Schäfer nimmt alles in sich auf, ehe er wieder ansetzt. Stundenlang geht das so. Bis alles passt. Am Ende soll diese Szene über Wochen Teil eines großen Ganzen sein. Sie zeigt Judas nicht als Schurken, sondern als tragisch Gescheiterten mit guten Absichten. „Ich will erreichen, dass jeder sagt: Der ist ja gar kein Verräter, ich hätte genauso gehandelt“, sagt Lang.Schäfer spielt den Moment nach, in dem der verkannte Jünger begreift, dass Jesus den Tod am Kreuz auf sich nimmt. Dabei will Judas doch, dass Jesus den Umsturz auslöst, um jetzt und hier die Unterdrücker hinwegzufegen. Dass das Reich seines Idols nicht von dieser Welt sein soll, kann Judas nicht begreifen. Schäfer gibt dieser Fassungslosigkeit gern Gesicht und Stimme, so anstrengend das auch sein mag. „Da komm‘ ich schon an meine Grenzen“, sagt er und blickt nachdenklich in die noch leeren Sitzreihen. Ihn, der bei früheren Passionsspielen schon den Jesus darstellte, lässt die Zerrissenheit des Judas, des lange Missdeuteten und Verachteten nicht los. Dass die Passionsspielzeit 2015 naht, zeigt sich in Auersmacher eben nicht nur an den sprießenden Haaren und Bärten, sondern auch an der Probenarbeit mit den wichtigsten Darstellern für die zentralen Szenen der Aufführung. „Das ist ein hartes Brot“, sagt Lang. In seinem Blick mischen sich Erschöpfung und Tatendrang. Er teilt sich mit Gilbert Messner die Regiearbeit. Gut, dass vieles von der Inszenierung ohnehin noch in den Darstellerköpfen ist. „Wir gastierten damit 2012 in Oberharmersbach im Schwarzwald. Da müssen wir jetzt nicht mit
allem von vorn anfangen.“
Die beiden Spielleiter wollen mit dem Ensemble in den gut zwei Stunden, die das Stück dauert, das ewig Gültige aus dem Leben Christi herausarbeiten. Ein Theaterabend zum Zurücklehnen wird das nicht. „Die Mächtigen kriegen ihr Fett weg“, sagt Lang. Aber das reicht ihm nicht. Er will gerade jetzt jedem Zuschauer vor Augen führen, wie es ist, an den Rand zu geraten. Jesus geht auf die Armen, die Flüchtlinge zu und tut an ihnen Wunder, statt sich mit den Mächtigen und den Willfährigen zu arrangieren. Die Inszenierung der Jungen Bühne zeigt, dass die Ausgegrenzten und Verachteten wie die Samariterin am Brunnen als Erste begreifen, wer ihnen da gegenübersteht. Und wer alles bisher Dagewesene, Einschnürende, Beengende mit Worten und Taten hinwegwischt. Zufinden ist das in der Auersmacher Inszenierung zum Beispiel in starken Botschaften von selbstbewussten Frauen. Dafür haben sich die Auersmacher tief in die Materie eingearbeitet, sich von saarländischen Theologen beraten lassen, die Bibel studiert und neue Bücher gewälzt. Alles, damit Worte eine Wucht bekommen, die nicht nur bis zur Theatertür wirkt. Auersmacher. Sie sind das Aushängeschild von Auersmacher, derabsolute Höhepunkt für den Veranstaltungskalender des 2500 Einwohner-Ortes in diesem Jahr: die Passionsspiele des Theatervereins Junge Bühne. Alle fünf Jahre zeigt der Verein seit den 1930er- Jahren im Ruppertshofsaal die Leidensgeschichte Christi.10 000 Besucher erwartet die Bühne zu den 32 Aufführungen. „Wir sind mitten in den Vorbereitungen“, sagt Josef Lang, der Vorsitzende der Jungen Bühne und der Cheforganisator der Spiele. Doch die Spiele sind mehr als die aufwendige Arbeit nur eines Auersmacher Vereins. Mehr als 250 Menschen aus dem Dorf wollen, dass die weit über die saarländischen Grenzen hinaus bekannten Aufführungen ein Erfolg werden. „Es ist unglaublich, wie viele aus unserem Ort sich spontan bereit erklärten, zu helfen. Klaus Thiel, der Vorsitzende des Sportvereins, hat mich schon vor Monaten gefragt, wo der Verein uns unterstützen kann“, sagt Lang stolz und dankbar über seine Mitbürger. Sie sind es ja auch, die das Volk auf der Bühne im Ruppertshofsaal spielen. Der Saal, die gute Stube des Ortes, wird derzeit mit viel Eigenleistung modernisiert und bis zur Premiere am 28. Februar fertig sein. Die Junge Bühne beteiligt sich am Umbau.Doch nicht nur Technik und Saal werden aufgefrischt. Auch die Inszenierung wartet mit Neuem, Überraschendem auf. Lang: „Das Abendmahl ist dieses Jahr unmittelbar vor den Besuchern. Das gebrochene Brot wird sogar ins Publikum gereicht.“ „Ich will, dass jeder sagt: Der ist ja gar kein Verräter.“ Regisseur Josef Lang über Judas
Stichwort Bald geht’s los: Am 28. Februar ist Premiere, gefolgt von 31 weiteren Vorführungen an allen Samstagen und Sonntagen bis einschließlich 26. April. Vorverkauf und Preise: Wer Karten für die Auersmacher Passionsspiele möchte, kann sich von montags bis freitags, von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr informieren unter Telefon (0 68 05) 91 25 44, (0 68 05) 91 25 45 oder per E-Mail an: passionsspiele-auersmacher@t-online.de. Eine Karte kostet 22 Euro für Erwachsene und elf Euro für Kinder. Gruppen ab 25 Personen erhalten zehn Prozent Ermäßigung. Weitere Informationen gibt die Junge Bühne Auersmacher im Internet: www.junge-buehne-auersmacher.de.
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Bildunterschrift: Auersmacher legen sich seit Monaten für Passionsspiele ins Zeug. Auersmacher Passionsspiele ehren einen Unbequemen und halten den Zuschauern den Spiegel vor. Aus Hunderten Stunden harter Bühnenarbeit destillieren Laienschauspieler eine zweistündige Botschaft gegen Ausgrenzung und Selbstgefälligkeit. Die fordert nicht nur die Darsteller, sondern auch das Publikum. Wo werden wir gebraucht? Das fragen die Auersmacher lange bevor sich zum ersten Mal die Bühne im Ruppertshofsaal füllt. Wenn sie dort alles aufgebaut haben, spielen sie in Scharen selbst mit. Und zwar gern.